Hallo ihr Lieben!
Die Überschrift macht es ja schon deutlich: Eine Alleingeburt im KH kann nur ungeplant sein. Ich sag das auch gleich vorne weg, für diejenigen, die momentan vielleicht nicht ganz so viel verkraften können: Unser Sohn Linus ist in der 20. SSW still geboren, es gibt also kein Happy-End. Von daher also die Vorwarnung, dass es vielleicht für die eine oder andere etwas belastend sein könnte, weiterzulesen.
Heute ist es genau sechs Wochen her und ich möchte dieses Geburtserlebnis mit euch teilen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es ein Geschenk von Linus an mich, seine Mama, war.
Nachdem bei der Vorsorgeuntersuchung keine Herztöne mehr festgestellt wurden und eine Zweitdiagnose in der Klinik das bestätigte, durfte ich zum Glück nochmal heim und wir kamen am übernächsten Tag zur stillen Geburt in die Klinik. Mein Mann begleitete mich, er hatte sich aus psychischen Gründen eine Woche krank schreiben lassen. Anfangs wurde nochmal geschallt, dann eine schmerzhafte Fruchtwasseruntersuchung vorgenommen, von der man sich Klarheit über die Todesursache erhoffte. Der Chefarzt, der dann dazu gerufen wurde und es beim 3. Mal schaffte, dass es "nur" noch verdammt unangenehm war, zeigte uns das Fruchtwasser, es war nach seinen Worten "schokobraun" und ein Zeichen, dass Linus leider schon länger tot war. Nach den US-Werten entsprach er von Größe und Gewicht ungefähr der 16. Woche. Dann wurde ich vaginal untersucht, wobei die Ärztin feststellte, dass der Muttermund anscheinend von sich aus bereits fingerdurchlässig war. Mein Körper arbeitete also bereits mit. Meine Hebi meinte, vielleicht war die Fruchtwasseruntersuchung auch deshalb so schmerzhaft, weil die Gebärmutter bereits auf Geburtsbeginn eingestellt war.
Dann folgte das Gespräch mit der Anästhesie, dann kam ich auf Station, mein Mann wurde aus medizinischen Gründen mit aufgenommen. Leider waren wir auf der Wöchnerinnenstation, was die Klinik noch heute bestreitet. Aber Wöchnerinnnen- und Gyn, das geht dort eins ins andere über. Und ich glaube kaum, das bei einem normalen Zimmer in der gynäkologischen Station ein Wickel-Ei an der Wand und eine Waage mit Wärmelampe und eine Kommode mit Wegwerfwindeln integriert sind?
Um 12 Uhr bekam ich die ersten Tabletten. Jeweils eine vaginal gelegt und eine Oral. Die Ärztin fragte, ob wir auf Station gebären (anscheinend ist das bei einer stillen Geburt nicht so unüblich?!) oder in den Kreißsaal wollten. Sie sagte aber auch gleich, auf der Station würden nur sie und eine Krankenschwester mich unterstützen, eine Hebi bekäme ich nur im Kreißsaal, die käme nicht extra rauf. Ich meinte resigniert, ich hätte mich ohnehin schon auf Kreißsaal eingestellt und wolle gerne von einer Hebamme unterstützt werden. Die vaginale Tablette war übrigens sechseckig. Im Anschluss bekamen wir Mittagessen. Ich schickte meinen Mann nochmal heim, weil unsere Große ihren Plüschlöwen, an dem sie sehr hängt, im Auto vergessen hatte. Sie würde bei Oma und Opa übernachten und das geht bei uns nun mal nicht ohne Fridolin, den Plüschlöwen.
Ich legte mich hin und döste ein wenig. Zwischendurch spürte ich immer wieder in mich hinein, ob ich "schon was" spürte. Ein leichtes Ziehen, ab und zu. Gut auszuhalten beim Liegen und Dösen. Dann wollte ich mir etwas zu lesen besorgen und ging zum Kiosk. Ich kaufte den "F*cus" und in der Cafeteria ein Wassereis mit Orangengeschmack, benannt nach einer italienischen Insel (das Eis gabs schon zu meiner Zeit) und eine B*onade. Damit bewaffnet ging ich wieder aufs Zimmer. Ich lag im Bett und las, manchmal spürte ich schon ein Bauchgrimmen, deutlich stärker. Zunächst nur unregelmäßig, dann alle vier Minuten. Sicher war ich mir aber nicht. Endlich kam mein Mann wieder.
Er stoppte, alle vier Minuten. Irgendwann kam auch meine Mutter. Die Wehen wurden stärker und mittlerweile hielt mich nichts mehr auf dem Bett! Ich wollte laufen, laufen, laufen. War schon bei Emmas Geburt so. In der Bewegung und dann, wenn eine Wehe kommt, stehenbleiben und irgendwo abstützen, ließen sich die Wehen am besten ertragen. Mein Mann meinte immer wieder, ob er mir helfen könne und ich solle ihm sagen, wie er am besten für mich da sein könnte. Ich winkte nur ab. Seine Anwesenheit genügte mir. Die Wehen kamen alle zwei Minuten. Richtige Hämmer! Die Ärztin kam gegen halb fünf, meine Mutter wurde rausgeschickt, mein Mann durfte natürlich bleiben und legte eine neue Tablette. Eine weitere schluckte ich wieder. Sie meinte, der Muttermund wäre immer noch fingerdurchlässig, das würde noch dauern. Noch mindestens bis heute Nacht.
Tja, die Schmerzen wurden immer heftiger und heftiger. Meine Temperatur stieg. Ich hatte richtig Fieber. Ich tigerte immer noch hin und her, war meistens aber auf der Toilete meines Badezimmers zu finden. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit Stuhldrang. Sogar meine Zeitschrift nahm ich mit, in der Hoffnung, dass "es" dann besser ging. Irgendwann entschied ich (meine Mutter war grad in der Cafeteria), dass es an der Zeit sei, mich umzuziehen. Bis dato hatte ich eine Leggins und ein Long-Shirt an, dann wechselte ich in ein gemütliches grünes Nachthemd und blieb untenrum frei, das war mir am liebsten. Immer wieder tigerte ich ins Bad. Die nächste Ärztin kam, sprach mit meinem Mann, der meinte, ich sei gerade auf der Toilette. Wir sagten, die Kollegin war noch da gewesen und hat Tabletten gelegt. Ich fragte nach Schmerzmitteln und sie bot mir Buscop*n und Ibuprofen an.
Auf der Toilette merkte ich, dass die zweite Vaginaltablette wieder rausgeflutscht war. Der Ärztin und meinem Mann sagte ich aber nix davon. Zum einen waren die Wehen eh schon kräftig und intensiv. Zum anderen hatte ich ja oral auch eine eingenommen. Ich beschloss, das Teil nicht zu brauchen und tigerte weiter auf dem Klo rum. Meine Mutter kam zurück und textete meinen Mann mit Meerschweinchen zu. Ich war genervt und rief ihnen nicht grad höflich zu, dass sie bitte den Mund halten mögen, es stört mich. Und so sinnloses Gelaber obendrein. Das Essen wurde gebracht, ich war immer noch auf dem Klo und wartete, dass was ging. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich könnte doch, wenn ich nur von der Kloschüssel runterginge. Ich schwor innerlich, die Sauerei diskret und tiptop sauber wieder wegzuputzen. Aber ich wusste, es ging nur in der Hocke auf dem Boden. So hockte ich mich vor die Kloschüssel, hielt mich an ihr fest und drüüüüückte...
Plötzlich spürte ich zwischen meinen Beinen einen Luftballon. Und den Rest machte mein Körper. Ich habe meine Scheidenmuskeln noch nie so intensiv gespürt. Mein Körper, nicht ich, drückte innerhalb von Sekunden das Kind heraus, als ob ich in meinem Leben nie was anderes gemacht hätte! Es war alles so instinktiv und so intensiv...Linus kam mit intakter Fruchtblase und auch die Plazenta, klein, aber putzig, hing mit dran.
Plötzlich waren alle Schmerzen und auch das Fieber, das mich befallen hatte. Und, das klingt wahrscheinlich sehr seltsam, aber ich war überglücklich. Ich kann dieses Glücksgefühl nicht mit Worten beschreiben. _Ich_ hatte ein Kind geboren! Ich alleine, mit meinem Körper! Ohne Hebamme, ohne Personal, ohne angeleitetes Powerpressen, nicht auf dem Rücken, einfach selbstbestimmt. Kein Vergleich zu Emmas Geburt!!
Ich schrie meinem Mann zu, der gerade im Begriff war, sich ein Brot zu schmieren: "Hol die Ärztin, das Kind ist da!" Mein Mann stürzte hinaus und meine Mutter zu mir ins Bad. Dann kamen die Ärztin, die Assistenzärztin und mindestens drei Krankenschwestern. Die eine fuhr uns an zurückzutreten, streifte sich Handschuhe über, nahm eine NIerenschale, legte Linus hinein und verschwand!!
Ich wurde aufs Bett verfrachtet. Sie fragten, wie ich mich fühlte. Ich: Großartig! Das Fieber ist weg, diese entsetzlichen Schmerzen auch, ich will meinen Sohn sehen! Die Ärztin "ach, wollen Sie ihn sehen?" Ich: "Ja, natürlich!" Er wurde mir wieder gebracht, die Fruchtblase hatten sie schon geöffnet. Die Ärztin setzte sich mit mir aufs Bett und ich und meine Mutter sahen ihn an. Alles dran, so perfekt und so hübsch. Dann wurde ich in den OP verfrachtet, mein Mann durfte mich bis zur Schleuse begleiten. Die Ausschabung selbst dauerte nicht lange. Um 18:25 Uhr begangen sie mit der der OP, um 18:31 waren sie fertig, um 18:45 war ich schon wieder wach. Ich sah Papiere an meinem Kopfkissen und setzte mich auf, um sie zu lesen. Ich fragte die Aufwach-Schwester, ob sie die Bettgitter entfernen könnte. Sie meinte: "Wenn Sie mir versprechen, nicht auch noch rumzulaufen, ich ruf oben an, dass Sie fertig zum Abholen sind!" Dann kam ich wieder rauf. Mein Mann hatte in der Zwischenzeit auch unseren Sohn angeschaut und sich überwunden. Er war froh, es gemacht zu haben.
Ich fragte die Schwester nach einer Ärztin oder einem Arzt, weil ich wissen wollte, wie die OP verlaufen war. Die Antwort: "Heute kommt niemand mehr!" Mein Mann ist dann auf eigene Faust in den Kreißsaal und kurz darauf kam die Ärztin. Sie erklärte mir alles, was ich wissen wollte und zum Schluss bat ich, meinen Sohn noch einmal sehen zu dürfen. Sie holte ihn und ließ uns mit ihm allein, so lange wir wollten. Dies waren die wichtigsten und intensivsten Momente mit ihm. Wir machten nochmal Fotos, wir beteten mit und für ihn, wir sangen ihm vor, ich erzählte ihm eine Geschichte. Wenigstens einen kurzen Moment wollte ich so sein wie alle anderen Mamis auch, die Babys geboren hatten. Wir erzählten ihm von seiner großen Schwester und wie sehr wir uns auf ihn gefreut hatten und wir sehr wir ihn liebten.
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In der Schwangerschaft hatte ich ja aufgrund des Geburtstraumas bei Emma wahnsinnige Angst vor der Geburt. Oft streichelte ich meinen Bauch und erzählte meinem Baby davon.Und dass ich wollte, dass die Geburt diesmal schön für uns beide wird. Und sie wurde es! Ihr könnt mich anschauen, wie ihr wollt, mich für verrückt erklären usw. Aber ich bin fest davon überzeugt: Diese Geburt war das (Abschieds-?)Geschenk meines Sohnes an mich! Wie sonst konnte ich in dieser Umgebung so selbstbestimmt gebären? Nicht vollgepumpt mit PDA & Co. sondern bei Bewusstsein. So hat sogar die HOrmonausschüttung funktioniert. Ich habe Vertrauen in meinen Körper und ich war so glücklich, es geschafft zu haben. SO muss gebären sein, kraftvoll und selbstbestimmt, instinktiv. Eins sein mit allen Frauen. Jahrtausene alte Vorgänge auf Knopfdruck anwenden können, das Bewusstsein ausgeschaltet. Mein Sohn wusste von meiner Angst. Und wenn er meinen Bauch verlassen musste, wollte er das auf die für uns beide richtige und angemessene Weise tun, als schöne Erinnerung an mich.
ICh war froh, dass mein Mann in der Nähe war. Dass er nicht direkt mit im Bad war hat mir komischerweise auch danach nichts ausgemacht. Bei Emma hätte ich es, in dieser Umgebung, mit dieser Hebamme, festgeschnallt auf diesem Bett mit Beinstützen nicht ausgehalten, wenn er eine Sekunde von meiner Seite gewichen wäre! Deshalb habe ich die These, dass die Begleitperson umso wichtiger wird, je unwohler sich die Mutter fühlt. Was meistens an den Leuten und der fremden (KH-)Umgebung liegt. Kann man für sich ungestört seinen Weg gehen und seine Wehenarbeit leisten, spielt es gar keine so große Rolle mehr...
In Dankbarkeit für das wunderbare Geburtsgeschenk meines wundervollen Sohnes schreibe ich dieses Erlebnis auf, damit möglichst viele erfahren, was ich für einen tollen Sohn habe! Ich könnte nicht stolzer auf ihn sein, wenn er in Oxford ein Prädikatsexamen gemacht hätte.