Vorher
Es ist Samstag vormittag, ET + 7.
Wir sind mit einem unausgeschlafenen Kleinkind auf dem Weg zu Sportplatz, damit es dort Laufrad fahren kann. Dort angekommen beobachte ich Pankows XYZ-Jugend beim Fußballspiel und sage zu meinem Freund: „Bloß gut, dass wir ein Mädchen bekommen, sonst müssten wir unsere Samstagvormittage regelmäßig auf Plätzen wie diesen hier verbringen und älteren Männern dabei zusehen, wie sie kleine Jungs anbrüllen, schlechte Würstchen essen und Maschinenladungen voll stinkender Minitrikots waschen...“
Auf dem Rückweg im Supermarkt beschließe ich Zutaten für einen Kuchen einzukaufen. Eine kleine 0 als Kerze kaufe ich auch dazu, ich möchte einen Geburtstagskuchen fürs Bauchbaby backen, damit es sich ENDLICH auf den Weg macht und mir weitere Arzt- Hebammen- und sonstige Besuche erspart bleiben!
Wieder daheim backen wir gemeinsam den Kuchen. Abends schreibe ich einen Abschiedsbrief an die Schwangerschaft, ich möchte endlich loslassen und mein Baby kennenlernen. Das macht mich traurig, ich weine. Eine Stunde später verliere ich den Schleimpfropf und ahne, dass es die Nacht noch losgehen könnte. Ich lege mich zeitig hin, möchte aber auch nicht zu viel Hoffnung verbreiten, daher erzähle ich niemand davon.
Dabei
Um 1h werde ich wach von regelmäßigen Wehen.
Passender Weise hatte mein Freund grad beschlossen ins Bett zu gehen. Ich sage ihm, dass ich ihn wohl bald wieder wecken werde und gehe ins Wohnzimmer. Dort sind die Wehen regelmäßig alle 6 Minuten aber noch recht harmlos. Ich kann sie gut veratmen. In der Wehe springe ich in den Vierfüßler, in den Wehenpausen liege ich entspannt auf unserem Sofabett. Zwischendurch zünde ich noch Kerzen an für die Romantik und koche Tee für die trockene Kehle.
Nach einer Stunde wünsche ich mir doch ein wenig Beistand und wecke meinen Freund. Dessen Händedruck im unteren Rücken hilft mir dann auch sehr gut in den Wehen, die jetzt alle 10 Minuten kommen, dafür deutlich heftiger sind. Meine Schwester haben wir auch geweckt und sie gebeten sich neben unsere Tochter zu legen, damit jemand da ist, falls sie aufwachen sollte.
Mein Freund fragt immer mal wieder, wann ich denn jetzt gedenke die Hebamme zu rufen, aber ich sage immer ich möchte sie noch ein wenig schlafen lassen und habe auch nicht das Gefühl sie schon zu brauchen. Er wirkt selbst auch noch recht entspannt also gibt es keinen Grund die gute schon zu wecken..
Als ich starken Würgereiz bekomme denke ich „Prima, das waren dann jetzt die ersten 5cm..“ und beschließe ein Bad einzulassen und die Hebamme anzurufen. Da ist es 3.30h. Das weiß ich genau, denn ich hab auf die Uhr geschaut und mit der Hebamme ausgemacht, dass es völlig ausreicht, wenn sie in einer Stunde da ist.
Ich gehe in die Badewanne um zu sehen ob mir das Wasser gut tut und es sich somit lohnt den Pool zu befüllen. Dort ist es irgendwie unbequem. Nach wie vor springe ich in den Wehen in den Vierfüßler, anders kommen die für mich irgendwie nicht in Frage, aber in der engen Wanne ist das ganz schön unentspannend. Irgendwie auch umständlich, bin ja auch nicht grade klein..
Nach 3 oder 4 Wehen wird mir das Gehopse zu blöd.
Ich steige aus, ziehe mich wieder halb an, denke noch an den Pool als nächsten Schritt. Puh,inzwischen sind die Wehen ganz schön heftig geworden... Ach ja, Durchfall hab ich auch nach jeder Wehe, daher springe ich in den Pausen immer schnell aufs Klo. An den Pool denke ich schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr.
Bei der nächsten Wehe bemerke ich einen starken Pressdrang, dem ich kaum widerstehen kann, ich habe jetzt wieder Position im Wohnzimmer bezogen. Ich merke, dass es jetzt ziemlich zügig geht, ich beginne auch zu Schreien/Tönen. In der nächsten Wehenpause brülle ich meinen Freund an, dass er die Hebamme anrufen soll. Ich hätte sie zumindest gerne am Telefon bei der Geburt dabei.
Sie geht nicht ans Telefon. Da merke ich, wie er doch ein wenig nervös wird. Ich selber bin viel zu beschäftigt um irgendetwas zu werden ausser Mutter.
Die gute Frau steht zu diesem Zeitpunkt auch schon vor der Türe. Wir haben ihr Klingeln nur wegen meinem Gebrülle nicht gehört und sie unseren Anruf nicht, weil sie ihr Telefon im Auto hat liegenlassen. Beim zweiten oder dritten Klingeln hören wir sie dann doch. Sie kommt fröhlich hereinspaziert, blickt direkt, dass es hier kurz vor Geburt ist und schickt meinen Freund los ihr Köfferchen holen.
Sie hört schnell einmal Herztöne, in der nächsten Wehe springt die Fruchtblase endlich und in der danach wird schon das Kind geboren. Die letzte ist so etwas wie eine Doppel- oder Triplewehe, in der im ersten Teil der Kopf geboren wird und dann, so gut wie ohne Pause im nächsten Teil der Rest hinterher kommt.
Das Köpfchen anzufassen so bald es geboren war, hab ich diesmal wieder nicht geschafft, bei der letzten Geburt hatte ich einfach keine Hand frei und bei dieser wollte ich nicht. Mir kam das in dem Moment zu kompliziert vor, obwohl die Hebamme zwei mal gefragt hat. Ich wollte die Geschichte einfach hinter mich bringen, da hätte mich ein nachfühlen irgendwie rausgebracht.
Als das Baby dann geboren ist und zwischen meinen Beinen liegt, ist eine ganze Weile lang alles ganz still im Raum. Es hat kurz aufgequäkt aber hat sich dann ganz friedlich die Welt angeschaut. Ich brauche eine Weile, bis ich in der Lage dazu bin, es hochzuheben. Mein Freund setzt sich hinter mich und ich lehne mich mit dem Kind im Arm zurück. Da habe ich aus dem Augenwinkel schon die vermeintlich stark geschwollenen Schamlippen unseres Mädchens entdeckt. Ich habe meine Brille irgendwohin geworfen in der Hektik und wegen der Romantik ist es im Raum ja bis auf ein paar Kerzen auch ziemlich finster. Daher schaue ich nochmal genau hin und bin dann ganz sicher: Es ist ein Junge. Als ich das laut ausspreche gibt es bei allen großes, freudiges Gelächter. Wohl auch aus Erleichterung über die geglückte Geburt.
Die Geburtszeit ist 4.44, genau 8 Minuten nach Eintreffen der Hebamme. Wenn er jetzt noch 2 Tage eher am 4.4.2014 gekommen wäre, dann hätte uns keine geglaubt, dass das kein Kaiserschnitt war Aber so haben wir ein Sonntagskind, dass ist natürlich noch besser!
Die Plazenta kommt unkompliziert etwas später und dann hieve ich mich aufs Sofabett. Dort bleibe ich für die nächsten Stunden und Tage liegen, mit nuckelndem Söhnchen an der Brust.
Nachher
Ich schaue mir den kleinen Jungen immer wieder an und denke "Ich kannte dich bereits vorher." Sein Aussehen kommt mir einfach so unheimlich bekannt und vertraut vor. Das ist ganz seltsam und hatte ich bei meiner Tochter so auch nicht. Vielleicht sieht er mir sehr ähnlich? Oder einem meiner Geschwister?
Nach zwei Stunden verabschiedet sich die Hebamme wieder bis zum nächsten Mittag. Die U1 verschieben wir einfach auf den nächsten Besuch, das ist uns allen nur recht.
Kurz nachdem die Hebamme gegangen ist, steht meine Schwester mit unserer Tochter im Wohnzimmer. Das kleine Großkind hat alles verschlafen, meine Schwester hingegen kein Auge zugemacht. Sie bestaunen beide Bruder und Neffen und dann gehen sie den Geburtstagskuchen anschneiden! Den hatte auf meine Weisung hin bis dahin nämlich keiner angerührt! Ich war natürlich am Vortag mittags noch längst nicht sicher, dass die Geburt wirklich in der Nacht sein würde, aber ich hatte zumindest die Hoffnung und die hat sich ja auch erfüllt!
Das Stillen schmerzt, ich habe auch schnell an beiden Brüsten wieder Wunden, nicht so viele, aber trotzdem sind welche aufgetaucht. Trotz!! tausendprozentig guter Anlegetechnik. Jetzt, nach drei Wochen ist glücklicher Weise alles fast völlig verheilt.
In den nächsten Tagen merke ich, dass mir die Geschlechterüberraschung doch noch zu schaffen macht. Nicht, weil ich meinen Jungen nicht toll finde – wenn ein Junge, dann genau der – aber ich hatte die gesamte Schwangerschaft hindurch einfach so eine Vision von zwei blonden spielenden Mädchen mit wehenden Kleidern auf einer Blumenwiese. Ich habe meiner Tochter eine tolle Schwester gewünscht, so wie ich eine habe. Diese Vision war nun dahin. Nicht, dass Brüder bestimmt nicht auch toll sein können, sie kamen nur in dieser Vision, mit der ich ein halbes Jahr lang herumgerannt bin einfach nicht vor.
Ich hab immer nicht genau nachvollziehen können, warum sich Frauen das Geschlecht ihres Kindes nicht vorher sagen lassen wollen. Die Fehlbarkeit der Prognose ist für mich aber auf jeden Fall ein definitives Argument dafür. Beim nächsten Kind, falls es das geben wird, möchte ich GEPLANT überrascht werden vom Geschlecht.
Ach ja und ich hoffe einfach mal stark, dass er von Fußballspielen genau so viel halten wird wie seine Eltern es tun
Schach ist doch auch was nettes. Oder Hallenjojo sollte es vielleicht auch tun...