Das ist der Bericht von der Geburt meines dritten Kindes (2010), das leider nicht zu Hause auf die Welt kommen durfte.
Viel zu früh
Meine Fruchtblase war in der 34. Woche geplatzt, ohne Vorwarnung, mitten in einer Montags-Chorprobe. Ich fuhr noch selbst ins KH, wo ich das erste Mal in meinem Leben an ein CTG - Gerät gehängt wurde, das jedoch keine Wehentätigkeit anzeigte.
Das weitere Procedere wurde mir erklärt, die Geburt innerhalb der nächsten 48 Stunden sei nicht mehr aufzuhalten. Ich müßte in ein Krankenbett, bekäme intravenös Antibiotika, Cortison zur Lungenreifung des Babys sowie ein Medikament zur Wehenhemmung bis die Lungenreife abgeschlossen sei. Sollten nach Absetzen des Wehenhemmers die Geburt nicht natürlich in Gang kommen, müsse man einleiten.
Super. Nach zwei schönen Hausgeburten genau das, wovor ich mich insgeheim immer gefürchtet hatte. Aber aus irgendeinem Grund war ich total ruhig und gelassen, und ich wunderte mich selbst, warum ich nicht weinte und verzweifelt war, wo dieser grenzenlose Optimismus herkam. Ich wußte, daß trotz allem, der Vorzeitigkeit der Geburt, dem ungemütlichen Geburtsort alles gut gehen würde. Zum Glück arbeitete die Hebamme, die bei der zweiten Hausgeburt bei uns gewesen war in ebendem KH und sagte telefonisch ihre Geburtsbegleitung zu. Die Aussicht auf ein vertrautes Gesicht in der fremden Umgebung (und nicht vom Glück in der Hebammenlotterie abhängig zu sein) trug zusätzlich zum guten Grundgefühl bei.
Einleitung
Eine Einleitung wollte ich aufgrund des erhöhten Komplikationsrisikos und der stärkeren, schmerzhafteren Geburtswehen um jeden Preis vermeiden. Schmerzmittel waren bei den vorigen Geburten nie notwendig gewesen und ich hatte Angst, diesmal welche zu brauchen und mich nicht mehr zu spüren und auf die Signale meines Körpers verlassen zu können.
Der Wehenhemmer wurde Mittwoch mittags abgesetzt, und nichts tat sich. Der diensthabende Stationsarzt kam kurze Zeit später vorbei und meinte, diese Nacht seien sie ohnehin voll belegt und die Einleitung könne noch bis zum nächsten Tag warten. Ich war erleichtert und versuchte, meine Wehen mittels Wehentee und herumgehen in Gang zu bringen, leider ohne Erfolg.
Um 8 Uhr abends stand plötzlich der selbe Arzt an meinem Bett und sagte, seit dem Blasensprung wären nun fast 48 Stunden vergangen, das Infektionsrisiko sei zu hoch, als daß man noch länger warten könne. Um 22 Uhr würde die Geburt mittels Prostaglandinbändchen eingeleitet . Wie sich herausstellte, war ein Kaiserschnitt abgesagt worden und nun doch Platz im Kreissaal (man beachte: ist kein Platz vorhanden, ist das Infektionsrisiko offenbar so gering, daß man bedenkenlos zuwarten kann. Ist Platz vorhanden, ist das Infektionsrisiko plötzlich so hoch, daß man die Mutter unbedingt zu einer Einleitung nötigen muß. Idiotische Krankenhauslogik ).
Ich lächelte den Arzt freundlich an und sagte, ich wollte prinzipiell nicht einleiten, aber ich würde gerne darüber nachdenken und die Sache mit meinem Mann besprechen. Der Arzt sah aus, als hätte er Zahnschmerzen, er sagte, er hätte mit seinem Chef telefoniert, der auch meinte, die Einleitung sei unumgänglich (später durch die Hebamme überlieferter O-Ton des Stationschefs: "Wenn sie nicht einleiten lassen will, dann soll sie ein Revers unterschreiben und heimgehen!" ). Aber er ging und ließ mir die Bedenkzeit.
Mein Mann und ich sprachen also darüber, er ist fachlich sehr fit auf dem Gebiet und das Reden mit ihm half mir, meine eigenen Gedanken zu ordnen, ohne daß er mich in irgendeine Richtung gepusht hätte. Egal wie ich entschied, er würde hinter mir stehen. Obwohl ich gegen eine Einleitung war, wußte ich doch gefühlsmäßig, daß ich nur in der Nacht gebären könnte, und bis zur übernächsten Nacht zu warten, ohne zu wissen, ob natürliche Wehen in Gang kämen, war selbst mir ein zu hohes Risiko. Deshalb entschied ich mich nach einigem hin und her schließlich für die Einleitung, allerdings bestand ich auf eine Stunde mehr Zeit, damit ich mich emotional und geistig noch ein wenig darauf vorbereiten konnte. Der Arzt war so erleichtert, als ich ihm meine Entscheidung mitteilte, er sah aus als wäre er mir am liebsten um den Hals gefallen. Jaja, die eine Stunde wäre gar kein Problem, dem Chef würde er halt irgendetwas erzählen.
Ich legte mich mit meinem Mann hin und schaffte tatsächlich noch, etwa 2 Stunden zu schlafen um Kräfte zu sammeln. Hand in Hand gingen wir dann um 23.00 zum Kreissaal, wo die Assistenzärztin das Bändchen legte und eine Eipollösung machte. War unangenehm, aber erträglich. Ich ging zurück ins Zimmer, und mein Mann fuhr nach Hause.
Geburt
Gegen 1.00 wachte ich mit einem Ziehen im Bauch auf, das in Wellen kam und nie ganz wegging. Nach einer Stunde erschien es mir regelmäßiger und stärker, und ich rief meinen Mann an, er solle kommen, was er eine halbe Stunde später auch tat.
Das Kreisszimmer war ein entsetzlich nüchterner, gekachelter Raum. Eng, neonröhrenbeleuchtet, eine Liege, ein Waschbecken, CTG-Monitor und ein Tragetuch von der Decke, das wars. Ich lag auf dem Rücken, ans Gerät angeschlossen, die Wehen bzw. die Dauerwehe wurden allmählich stärker und immer unangenehmer. Die Assistenzärztin und diensthabende Hebamme nicht auf mich achtend, sondern den CTG-Monitor anstarrend. Genau, wie ich mir eine KH-Geburt immer vorgestellt hatte. Genau wie ich es nie gewollt hatte.
Meine Hebamme kam um 3.00, nur vier Stunden bevor sie ohnehin Dienst gehabt hätte, und kurz darauf nahm die Geburt eine Wende. Wir übersiedelten in einen anderen, viel größeren, nur sehr schwach beleuchteten Raum mit Badewanne und Wandmalereien, die einen Blick in eine toskanische Landschaft zeigten. In der Sekunde, als ich in die Wanne stieg, waren die ungewohnten, künstlichen Wehen weg als hätte man einen Schalter umgelegt. Von diesem Moment an hatte ich das Gefühl, ganz die Kontrolle über meinen Körper und die Geburt zu haben. Endlich fühlte ich mich selbstbestimmt, und das Krankenhaus konnte mir jetzt gar nichts mehr. Nach 10 Minuten kam schließlich die erste Wehe, die ich als "meine" erkannte, ganz sanft und allmählich, wie ich es schon von den vorherigen Geburten kannte. Ich konnte mich so richtig entspannen, spürte keine Schmerzen, veratmete und genoß die Wehen und stellte mir vor, wie ich mich öffnete.
Um 4.30 ging ich raus aus der Wanne, auf eine Gebärliege. Ich war bei 5 cm. Die weiteren Wehen verbrachte ich seitlich liegend, und ich schlief in jeder Wehenpause ein. Die Hebamme hielt sich die ganze Zeit über sehr im Hintergrund, ging auch immer wieder hinaus und ließ uns allein.
Eine Stunde später waren die Wehen zwar nicht schmerzhaft, aber mittlerweile doch so intensiv, daß Schlaf nun nicht mehr möglich war. Die Hebamme entfernte nun das Prostaglandinbändchen, und mein Muttermund gähnte binnen weniger Sekunden von 7 cm vollständig auf. Ich erkannte plötzlich am Klang meines eigenen Stöhnens, daß ich mitten im Übergang war, und dachte noch "das kann doch noch gar nicht sein".
Zwei Wehen lang dauerte der Übergang, plötzlich hielt ich es auf der Liege nicht mehr aus. Sehr zur Besorgnis meines Mannes (wie er mir später sagte ) sprang ich von der hohen Liege herunter und suchte hektisch nach einer Position zum Gebären, nach irgend etwas zum Dranhängen. Ich hielt mich am Tragetuch fest, aber das blöde Ding war zu rutschig. Ich verlor trotz der Knoten immer wieder den Halt, und ich spürte schon den Preßdrang. Ersatzweise mußte mein Mann herhalten. Ich schlang ihm, der stand, die Arme um den Hals und hängte mich mit meinem ganzen Gewicht an ihn und preßte auch schon los. Die Hebamme breitete in Windeseile eine Matte unter uns auf.
Der Preßdrang war so überwältigend, intensiv und schön, ich ließ mich ganz fallen und von dieser Urkraft mitreißen. Nebenbei bekam ich mit, daß die Hebamme irgend etwas von mir wollte, aber ich war zu beschäftigt (wie sich am nächsten Tag herausstellte, hatte sie versucht, mich zur Hechelatmung zu bewegen, damit das Kind langsamer herauskäme ). Naja, ich hatte es jedenfalls nicht verstanden, und mit einer einzigen Wehe kam meine Tochter geradezu aus mir herausgeschossen.
Die Hebamme reichte sie mir zwischen meinen Beinen durch, meine kleine, süße, wunderhübsche Tochter. So winzig und zart, aber einfach perfekt, gar nicht unfertig. Sie war rosig, atmete und schrie sofort und machte dann an meiner Brust mit geschlossenen Augen leise Mömmelgeräusche. Trotzdem war klar daß sie, sechs Wochen zu früh geboren, erstmal auf die Neo mußte. Wenigstens fünf Minuten hatten wir, bevor mein Mann sie schließlich zusammen mit dem Kinderarzt auf die Station trug.