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Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Mo 17. Apr 2023, 09:39
von wohlstandskind
Vorgeschichte
Bei Kind #1 ging ich 2009 völlig unbedarft an die Geburt heran. Wird schon normal verlaufen. War leider nicht so. Angstmache seitens Ärzten schon während der Schwangerschaft: Kind zu leicht, zu wenig Fruchtwasser, Wehenbelastungtest. Nach 12 Tagen über ET Einleitungsversuch, der wegen pathologischem CTG sofort im Notkaiserschnitt endete. Man hätte mir jedes Kind geben können und ich hätte gesagt es ist meins. Wie ist es nun ein Kind zu bekommen? Keine Ahnung, ich weiß noch nicht einmal wie sich Wehen anfühlen.
10 Jahre später (2019) wollte ich endlich diese Erfahrung nachholen. Suchte mir direkt Hebammenbetreuung im Geburtshaus und die Schwangerschaft war gleich so viel sorgenfreier. Nur die Gyns waren sehr ablehnend und skeptisch (ein Wechsel brachte mich vom Regen in die Traufe); nach Kaiserschnitt sei es unverantwortlich außerhalb eines Krankenhauses entbinden zu wollen. Dennoch verfolgte ich meinen Plan weiter, wobei ich allerdings nie Vorwehen oder dergleichen spürte. ET+10 durfte ich dann zur Kontrolle ins Krankenhaus und stand dann vor einem Gewissenskonflikt. Diesmal wieder: wenig Fruchtwasser, dafür aber großes Kind und mit jeden Tag den ich warten würde stiege das Risiko auf Kaiserschnitt. Da ich nicht ausschließen konnte nicht zu den wenigen Frauen zu gehören, die selbst keine Wehen spontan produzieren, ließ ich mich zu einer erneuten Einleitung überreden. Alle natürlichen Anstupsversuche hatten vorher nix bewirkt. Mechanische Einleitung mit Ballonkatheter brachte erste Wehen, die über Nacht wieder verschwanden. Am nächsten Tag kam Kind #2 dann zwar eingeleitet im Krankenhaus, aber selbstbestimmt und natürlich als Wassergeburt zur Welt und wir sind ambulant geflüchtet. Das Wort Wehenpause muss jedoch ein Euphemismus sein: die gab es nicht, wohl der Einleitung geschuldet.
Nun wusste ich für mich: ich kann gebären und wenn Kind #3 wie die anderen zu den "spät fallenden Äpfeln" gehört (siehe Vortrag von Prof. Hildebrand zu Betreuung der Schwangeren im Geburtszeitraum), dann lass ich mir keinen Stress machen.

Zur Schwangerschaft dieses Kindes kannte ich nicht nur den ersten Tag der letzten Periode und meine Zyklusdauer, sondern durch Temperaturmessung den mutmaßlichen Konzeptionstermin. Und siehe da, je nach Berechnung ergab sich hier bereits ein Delta von 5 Tagen im ET. Mit meinen Hebammen vom Geburtshaus ging ich vom späteren aus, meine jetzige Gyn vom eheren (was für den Mutterschutz praktisch war). Selbst habe ich mit der Geburt Ende April 2023 gerechnet und es auch so kommuniziert. In jedem Fall: das Kind kommt nach Ostern. Und gern darf es daheim kommen (mit Hausgeburt konnte ich mich sehr gut anfreunden, jetzt wo die Wohnung entsprechend größer war als früher). Hebammen auf Rufbereitschaft, aber wenn denn nur die Geburt von allein startet, dann können sie gern zu spät kommen. Ich war optimistisch, denn ich hatte zum ersten Mal spürbare Senk- und Vorwehen.

Zur Geburt
Nach schönen aber anstrengenden Ostertagen blieb ich mit dem 4-jährigen noch ein paar Tage bei den Großeltern. Ich wollte dann aber doch nach Hause, damit ich im Fall von einsetzenden Wehen nicht noch 1h selbst Auto fahren muss. Eine gute Entscheidung. Den 1. Tag daheim hatte ich abends leichte Wehen, konnte aber gut einschlafen. Am kommenden Tag legte ich den Kleinen zum Mittagsschlaf und stand selbst auf zum Putzen, denn es waren wieder leichte Wehen im Abstand von 15 min da (ab ca 14:30 Uhr). Gegen 16 Uhr lud ich mir spaßeshalber eine Wehentrack-App herunter, welche ich ab 17 Uhr beim Nachmittagsprogramm (Bibliothek, Kind zum Friseur, Spielplatz) fütterte. 18 Uhr waren wir noch auf dem Spielplatz und die App bescheinigte nach 5 Wehen im Abstand von 10 min den Geburtsbeginn und ich solle mich bald fertig machen für den Weg ins Krankenhaus. Ich lächelte in mich hinein, nun zu wissen, dass die Wehen voraussichtlich bleiben, ich heute eine Nachtschicht einlegen werde und gemütlich daheim bleibe. Dann kam mein Mann zum Spielplatz und wir gingen auf dem Rückweg schnell noch 3 Lebensmittel einkaufen und bereiteten daheim das Abendbrot vor. Als wir anfingen zu essen offenbarte ich meine Wehen, die mittlerweile alle 4 min kamen und ich verabschiedete mich vom Essen und tigerte durch die Wohnung. Langsam sollten wir vielleicht doch dran denken alles zusammenzusuchen, was man für die Geburt braucht. Mein Mann meinte, ich könnte doch schonmal die Hebamme rufen. Ach, hat noch Zeit (die App empfahl mir zwar sofort ins Auto zu springen, wenn es nicht das erste Kind ist und wenig später sogar, den RTW zu rufen, aber das nahm ich keinesfalls ernst). Ich schickte den Kleinen schnell noch duschen, damit ich dann ungestört und lang die Badewanne blockieren kann. Kurz nach 19 Uhr lag ich in der Wanne und hatte endlich Muse die Hebammennummer anzurufen, aber nur aus dem Grund, da sie gern bis 20 Uhr Vorinfos entgegen nehmen, während sie bei nächtlichen Anrufen gern eine sichere Aussage zum "ja, komm bitte!" bevorzugen). Meine heimliche Favoritin des Dreierteams hatte gerade Bereitschaft und war beim Yoga. Ob sie gleich kommen soll? Keine Ahnung, in der Wanne hatte ich noch keine Wehe (lag aber erst seit 2 min drin). Zur Not melde ich mich vor 20 Uhr nochmal. Oder komm einfach, wenn du möchtest. Wie ich aufgelegt hatte, kam eine Wehe in der die Fruchtblase platzte. Auftrag an Mann, der sich gerade am Waschbecken rasiert hat: mach bitte noch ein Foto von mir mit Bauch. Das Foto war auf 19:20 datiert. Dann wurde alles sehr heftig und ich kann das um-mich-herum nicht beschreiben. Das nächste Foto zeigt mich 19:31 mit Baby auf dem Arm am Wannenrand.
Eine Wehe nach platzen der Fruchtblase war wohl in der Kategorie Übergangsphase: wie soll ich das aushalten? Kann doch noch gar nicht offen sein, aber ich kann kaum noch den Druck rausnehmen. Von der Art hatte ich mehrere bei Kind #2 und die zu veratmen und auszuhalten war Schwerstarbeit und überhaupt nur im Wasser möglich. Nach der Wehe dachte ich laut zu meinen Mann: soll ich nochmal die Position wechseln? (Bisher lag ich schätzungsweise 1 Wehe links und 1 Wehe rechts in der Wanne). Mit Beginn der nächsten Wehe, wohl die erste echte Presswehe, "sprang" ich in die Hocke, nachdem etwas Blut und Stuhl im Wasser gelandet waren. Also quer in der Wanne mit Blick zur Wand. Der Wasserstand war nun so niedrig, dass er mir nur über die Füße reichte. Ich wurde das erste Mal laut und gab irgendwelche Urgeräusche von mir. Innerhalb dieser Wehe kam der Kopf vollständig und ich war einigermaßen erschrocken, aber positiver Art. Mein Kleiner kam deswegen weinend angerannt und musste vom Papa beruhigt werden. Mir blieb kurz Zeit zu registrieren, dass mich nur noch eine Wehe vom Kind trennt und ich es auffangen muss. Und dann war es auch schon geschafft. Ein meckerndes zartes kleines Mädchen voller Käseschmiere war geboren. Order an Mann: bitte Handtuch fürs Baby (nein, das ist schon benutzt, nein das ist kratzig, meinetwegen das, aber warm sind die alle noch nicht), bitte Wasser ablassen, Schüssel holen, ich nehme auch noch ein Handtuch über die Schultern. Ich hab mich derzeit auf den Wannenrand gesetzt und Nabelschnur vom Arm gewickelt. Begutachtung der Lage: Plazenta kommt erfahrungsgemäß fix, also bleib ich erstmal hier. Mann rief Hebamme nochmal an, die auf halbem Weg war: brauchst dich nicht zu beeilen, sie schreit schon. Hebamme verstand wie sich im Nachhinein herausstellte, sie solle sich beeilen, da ich aufgrund der Wehen schreie. Jedenfalls kam die Plazenta wirklich bald in die Wanne geflutscht, aber nicht direkt in die Schüssel sondern daneben, weil sie ganz kurz noch irgendwo festhing. Dann sind die Jungs zur Tür raus, um der Hebamme unten zu öffnen. Dummerweise ohne Schlüssel und der Kleine zog die Wohnungstür oben zu. Also Hebamme kam ins Haus, aber nun stand sie mit meinen Männern vor der Wohnungstür und alle 3 kamen nicht rein. Und ich wunderte mich, warum keiner wiederkam, ich hätte jetzt schon gern Unterstützung. Es klingelte: geht nicht, kann nicht. Die Lage dämmerte mir immer noch nicht, aber egal wo die Männer sind, wenn man sie mal braucht, die Hebamme muss rein und ich will ins Bett. Also den Wackelpudding Plazenta irgendwie mit einer Hand in die Schüssel gehievt, Schüssel und Beine abgespült, das nächste Handtuch zwischen die Beine geschnappt und mit Schüssel in der einen und Baby in der anderen Hand zur Tür gelaufen, geöffnet und die Schüssel abgegeben. Das muss ein bleibendes Bild für die Hebamme gegeben haben.
Endlich versorgt im Bett haben wir die chaotische vergangene halbe Stunde besprochen und anhand der Fotos die Geburtszeit auf 19:28 Uhr rekonstruiert. Baby und Mama wohlauf und nur ne kleine Schürfung davongetragen.
Fazit: während Geburt #2 schon sehr heilsam war, war diese für mich einfach nur perfekt
Der nun große Kleine hat wie auf lang gehegten Wunsch die Nabelschnur durchtrennt und der Große weiß noch gar nichts von seiner Schwester, da er ohne Telefon noch bis Sonntag mit den Pfadfindern unterwegs ist...

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Mo 17. Apr 2023, 10:30
von Biiibi
Wow wie schön, gratuliere zur kleinen Tochter, wenn ich das richtig interpretiere war das ja erst gerade :storch:

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Mo 17. Apr 2023, 19:43
von Mutterliebe
Ja herrlich, so mit Kind und Plazenta im Arm der Hebamme die Tür zu öffnen… :lol3:
Glückwunsch zum Baby!

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Di 18. Apr 2023, 08:53
von babsi2011
Ach, was ein schöner Bericht :herzen: :rainbow:
Meine allerherzlichsten Glückwünsche zur Geburt!!
Das habt ihr ja sowas von mega gut gemacht!
Ein Traum, wirklich eine wundervolle Geschichte :princess:

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Di 18. Apr 2023, 12:39
von MaryP
Wow, so ein Trubel. Herzlichen Glückwunsch zur heilsamen Geburt! Genieße dein Wochenbett!

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Di 18. Apr 2023, 18:52
von Josie2013
Ganz wunderbar! Ein bisschen fühle ich mich an meine letzte Geburt erinnert. Beeindruckend, wie wir Frauen in solchen Situationen noch klar denken und organisieren können. Die Zeit vergeht unter der Geburt aber auch völlig anders.

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Mi 19. Apr 2023, 14:05
von wohlstandskind
Vielen Dank für die lieben Glückwünsche!
Ja, das war erst letzten Donnerstag und bis jetzt haben wir zusammen nackt im Bett gekuschelt. :hearts:

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Fr 21. Apr 2023, 04:42
von weiße wölfin
:herzen: Herzlichen Glückwunsch und herzlich Willkommen, im Forum und der Kleinen im Leben :rosabrille:
mit Schüssel in der einen und Baby in der anderen Hand zur Tür gelaufen
… ist tatsächlich ein Bild, was auch ich nie mehr vergesse, vielen Dank fürs Teilen :charly_rofl:

Re: Besser konnt ichs mir nicht wünschen

Verfasst: Sa 6. Mai 2023, 19:50
von chrisma
Was für eine Geschichte.... herzlichen Glückwunsch und eine wunderschöne Kuschelzeit.
Das wird die Hebamme auf jeden Fall niemals vergessen.