Die Freie Geburt von O.

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Zwieback
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Die Freie Geburt von O.

Beitragvon Zwieback » Mo 22. Apr 2013, 11:24

Mit meinem riesigen Bauch bejammere ich schon seit Tagen meine Unbeweglichkeit, das Kribbeln im linken Bein nach kurzen Fußmärschen, nicht zu wissen, wie ich noch bequem liegen kann. Trotz dieser deutlichen Schwangerschaftsunlust zusammen mit der sich mir aufdrängenden Frage, warum man sich das nochmal antut mit dem Kinderkriegen deutet nichts auf eine nahe Geburt hin. Kein Vorwehchen weit und breit, das mir Hoffnung macht.

Stattdessen Freund L. und die beiden Großen zu hause krank im Bett. Wie soll ich hier auch gebären können, wenn ich keine Sekunde für mich selbst habe? Also raus aus der Wohnung, an diesem ersten und für lange Zeit auch letzten frühlinghaften Tag weit und breit. 'Wichtige' Sachen sind schließlich zu erledigen, wir haben ja noch gar keinen Sekt fürs Anstoßen nach der Geburt besorgt, die Kranken brauchen Gemüsesuppe und außerdem muss ich unbedingt im Sonnenschein das erste Eis des Jahres essen.

Schon beim Losgehen das erste Ziehen im Bauch, aber ich traue mich noch nicht, das auch ernst zu nehmen. Auch nicht, als es bei dieser und jener Erledigung, die ich nebenbei noch mache, stärker wird. Bepackt mit großen Taschen und Tüten und Eis in der Hand mache ich einen Sonnenscheinspaziergang, damit die Wehen nicht einfach wieder verschwinden. Zu meiner großen Freude tun sie das auch nicht, sondern werden immer stärker. Die Runde wird größer als beabsichtigt und gegen Ende muss ich mich unter besorgten Blicken anderer Schwangerer schon am Brückenpfosten aufstützen bei einer Wehe.

Zu hause auf dem Sofa beim Entspannen verschwinden die Wehen auch nicht wieder und so entsteht in der Wohnung erst mal große Hektik. Die beiden großen kranken Kinder sollen mit den beiden Mitbewohnern kurzfristig ausquartiert werden und das Losgehen dauert und dauert, während ich im vom Losgehtrubel am weitesten entfernten Kinderzimmer meine Runden drehe und mich bei jeder Wehe an Schränken oder Türrahmen festhalte. Die Wehenabstände werden immer kürzer und ich sehne den Moment herbei, da ich mich endlich nur auf die Geburt konzentrieren kann.

Um fünf Uhr sind sie endlich draußen. Jetzt geht alles ziemlich schnell, die Wehen werden sehr intensiv und ich bin endlich ganz bei der Geburt. Ich nehme keine Zeit wahr, nicht die Welt draußen vor der Wohnungstür. L. währenddessen rennt herum und bereitet alles mögliche vor, schließt Vorhänge, legt Planen aus und Handtücher bereit. Ich vor dem Bett in der Hocke maule vor mich hin, hab nun absolut keine Lust auf Gebären, ichwillnichtwillnichtwillnicht.

Es folgt eine mustergültige Übergangsphase mit zitternden Knien, literweise Wasser trinken, fast-kotzen und lautstarkem ich-will-nicht-mehr-Gejammer. Nun will ich gerne in die Pressphase übergehen, aber die Presswehen kommen nicht. Ich bemerke, dass ich nicht richtig loslassen kann, weil ich lieber noch eine Runde auf dem Klo einlegen will. Also raus aus dem abgedunkelten, geburtsölduftbewehten, liebevoll mit Polstern und Planen ausgelegten Gebärzimmer ins grelle enge kühle Badezimmer. Dort L. erstmal raus schicken und mich entleeren. Dann soll er wieder kommen, weil nun die Presswehen beginnen und die Fruchtblase platzt, praktischerweise über dem Klo.

Runter von der Schüssel und mich davor hingehockt, an den Badwannenrand und L. geklammert. Mit geschlossenen Augen gegen das grelle Badezimmer schreie ich verzweifelt es-geht-nicht-ich-will-eine-Pause. Ich weiß ich schaffe diese Geburt gut, aber ich will eine Pause, jetzt sofort!, doch es gibt keine. Mein Körper presst sehr angestrengt und stark. Trotzdem habe ich das Gefühl, es geht nicht gut voran. Mit der Hand spüre ich außer Kopf noch etwas anderes, was da nicht sein sollte. So geht es nicht weiter. Erst mal in den Vierfüßler. L. soll die ganze Zeit bei mir vorne bleiben und mich dort stützen. In dieser Position rutscht das Baby wieder ein Stück zurück und was auch immer im Weg gewesen war ist es anschließend nicht mehr. Nun kann das Kleine nach unten rutschen. Ich will, dass diese anstrengende Geburt vorbei ist! In aufrechter kniender Haltung wird der Kopf geboren, der seitlich gedreht ist. Mit der nächsten Presswehe kommt der Rest des Körpers und das kleine Geschöpf beginnt laut zu weinen.

Irgendwie landet das Baby in meinen Armen und beruhigt sich. Wir Eltern beruhigen uns auch. Wir ziehen wieder um ins Gebärzimmer in den großen Sessel. Im Vorbeigehen ein Blick auf die Uhr: 18.12. Nun bestaunen wir das kleine Wunder, das auf meiner Brust liegt, trocknen es ab, schnuppern an ihm, streicheln es. Mir fällt wieder ein, warum man sich das mit dem Kinderkriegen nochmal antut. Wir warten auf die Plazenta. Trinken will der Kleine noch nicht, hustet zuerst Fruchtwasser hoch, das ich mit dem Mund absauge. Ich verschlinge eine ganze Packung Traubenzucker, während ich weiter mit dem Kleinen kuschele.

Die beiden Großen, die ich eigentlich abgenabelt und geduscht empfangen wollte, kommen nun schon nach hause und können noch bestaunen, wie die Nabelschnur von Babys Bauch in meinen hinein reicht. Während sie im Wohnzimmer sind, stehe ich aus meinem Sessel auf und da rutscht die Plazenta knapp zwei Stunden nach der Geburt des Kindes heraus. Endlich. M., meine Große, schneidet die Nabelschnur voller Stolz durch.

Die nächsten Tage verbringen wir zu fünft im Bett, die anderen drei sind ja noch krank. Das ist neben wunderschön auch ziemlich anstrengend, weil J. die ganze Zeit mit mir kuscheln will und M. die ganze Zeit mit dem Baby kuscheln will. Meine Schwester kommt für zwei Wochen und spielt mit den Kindern, kocht, putzt, kauft ein, was für eine tolle Unterstützung.

Da die Hebamme, die eigentlich kommen sollte, nun doch verhindert ist (hatte sie vorher angekündigt, dass das passieren könnte), finde ich kurzfristig eine andere, die drei Tage nach der Geburt auch findet, dass der Kleine ganz gesund und munter ist. Sie beruhigt mich, dass meine Rückbildung normal ist, ich fühle mich nämlich - obwohl äußerlich nicht die kleinste Verletzung entstanden ist - als könnte jeden Moment mein komplettes Innenleben aus mir herausfallen. Das kenne ich so überhaupt nicht und das beunruhigt mich.

Noch mehr als bei den beiden vorangegangenen Geburten habe ich das Gefühl, dass die Geburt eines Kindes länger dauert als die eigentliche Geburt. Mein Baby, bisher im Bauch, ist nun auf meinem Bauch, trinkt an meiner Brust und die Geburt selbst war nur der Beginn einer langsamen Ablösung, die bis heute andauert.

:hearts:
Zuletzt geändert von Zwieback am Mo 22. Apr 2013, 14:06, insgesamt 1-mal geändert.

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Antonia

Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon Antonia » Mo 22. Apr 2013, 11:36

:heul: :herzen: :rosabrille: :wolke:

Wie schööööööön! Herzlichen Glückwunsch!!!

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Glühwürmchen
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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon Glühwürmchen » Mo 22. Apr 2013, 11:38

Hach, wie wunderschön :herzen: :rainbow:

Genießt den weiteren Abnabelungsprozess kuschelnd und in aller Ruhe :wolke: :flagge:
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Ferun

Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon Ferun » Mo 22. Apr 2013, 11:45

Oh liebe T., bei deinem Spaziergang wäre ich gerne dabei gewesen lol
Allein schon wegen den Blicken der anderen Schwangeren.

Das klingt nach einer recht flotten Geburt, hast du gut gemacht!
Hat die Hebi dir auch die Bescheinigung gegeben?

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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon Zwieback » Mo 22. Apr 2013, 12:03

Oh liebe T., bei deinem Spaziergang wäre ich gerne dabei gewesen lol
Allein schon wegen den Blicken der anderen Schwangeren.

Das klingt nach einer recht flotten Geburt, hast du gut gemacht!
Hat die Hebi dir auch die Bescheinigung gegeben?
Ich hätte die Blicke der Leute auch gerne beobachtet, hatte in dem Moment aber keine Zeit dafür...

Die Geburt hat vier Stunden gedauert (Geburt des Kindes).

Genau, die Hebamme hat so einen Geburtsanzeigenzettel ausgefüllt. Sie meinte sogar - was ich nicht gewusst hatte - sie sei verpflichtet, eine Geburt anzuzeigen, wenn sie von einer erfährt, bei der dies noch nicht geschehen ist.

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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon mia » Mo 22. Apr 2013, 12:47

Herzlichen Glückwunsch :blume:mia
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der kleine Süßling, Oktober 2012, HG

Irgendwas ist immer!

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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon sanssouci » Mo 22. Apr 2013, 12:57

Herzlichen Glückwunsch!
Genau, die Hebamme hat so einen Geburtsanzeigenzettel ausgefüllt. Sie meinte sogar - was ich nicht gewusst hatte - sie sei verpflichtet, eine Geburt anzuzeigen, wenn sie von einer erfährt, bei der dies noch nicht geschehen ist.
Jeder ist verpflichtet eine Geburt anzuzeigen, wenn es bisher noch niemand gemeldet hat. Da gibt es irgendwo einen Paragraphen für incl. einem Ranking
*04/04 amb. KH / *06/08 KH 35. SSW/ *06/08 KH 35. SSW/ *04/11 gepl. Alleingeb./ *12/12 s.c./ *08/16 HBAC ... ab jetzt zu siebent ...

Niveau ist keine Gesichtscreme und Stil ist nicht der obere Teil des Besen. (irgendwo gelesen im www)

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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon weib1969h » Mo 22. Apr 2013, 13:00


:daumen: :applaus: :blume:

Toll gemacht :rosabrille: , herzlichen Glückwunsch :flower: und frohes Ablösen noch(schön geschrieben, ich löse mich auch noch von allen meinen Kindern, jeden Tag ein wenig mehr :love: )!

:blume: :princess: :herzen:
Yvonne
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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon weiße wölfin » Mo 22. Apr 2013, 14:01

hach *schnief* sooooooooooooooooooooo schön :herzen:
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Re: Die Freie Geburt von O.

Beitragvon uvd » Mo 22. Apr 2013, 14:26

so schön geschrieben :herzen:
vielen dank fürs teilen und herzlichen glückwunsch.
ja, das ablösen endet nicht mit der geburt, das ist woh ein lebenslanger prozess... :hearts:


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